Um über die Ausgrabungen im Gebiet der Ortsumgehung Heskem zu informieren, haben die dort arbeitenden Archäologen und Bürgermeister Andreas Schulz zu einer Besichtigung der Ausgrabungsstätte eingeladen. Mehr als 200 Interessierte sind der Einladung gefolgt und haben sich in Kleingruppen die Standorte früherer Wohnhäuser und die frühe Besiedlungsgeschichte des Amöneburger Beckens näher erläutern lassen.
„Durch andere Fundstellen im Bereich der bisherigen Straße wussten wir, dass hier bei den Arbeiten an der Ortsumgehung ein Archäologe mit am Bagger stehen muss. Es gab schon sehr viele Hinweise auf eine Siedlung“, sagte Ausgrabungsleiterin Nina Lutz. Und die Archäologen sollten Recht behalten: Die erste Siedlung wurde schnell gefunden, als die Baggerarbeiten am künftigen Brückenbauwerk begonnen hatten. „Dort haben wir eine Siedlung aus der frühen Bronzezeit gefunden“, erklärte Lutz einer Besuchergruppe. Die wurde von den Archäologen vermessen, fotografiert, kartografiert – und dann zerstört, damit die Bauarbeiten weitergehen konnten. Auch Hinweise auf menschliches Leben im Mittelneolithikum (rund 5000 v.Chr.), zur Zeit um Christi Geburt und in der Kaiserzeit haben die Fachleute im Boden entdeckt – die Fundstellen schon größtenteils abgearbeitet. „Allerdings haben wir erst etwa ein Viertel der zwei Kilometer langen Trasse untersucht“, erklärt Lutz weiter. Dabei versuche das Team in Koexistenz mit den Straßenbauarbeitern ihrer Forschung nachzugehen – weshalb jede Fundstelle schnell und routiniert dokumentiert wird. Dadurch werden die Bauarbeiten nicht aufgehalten, liegen laut Bürgermeister Andreas Schulz sogar völlig im Zeitplan.
Ein wichtiger Anhaltspunkt für die Archäologen sind Verfärbungen im Boden. Nur durch sie können die Forscher den genauen Standort und die Größe von Gebäuden nachvollziehen. „Vor vielen tausend Jahren sahen die Böden hier noch anders aus“, erklärt Lutz. Damals wurden für Häuser Pfosten in die Erde getrieben. Dadurch drang auch Schwarzerde von oben mit in die unteren Bodenschichten. „Durch diese Verfärbungen durch die dunklere Erde wissen wir genau, wo Pfostenlöcher waren.“ Dabei zeigte sie auf einig eStellen im Boden und zeigte die unterschiedlichen Bodenbeschaffenheiten deutlicher.
Neben Pfostenlöchern und Standorten von Häusern machten die Archäologen bei Heskem aber schon einige andere Entdeckungen: Brunnen, Ofenstellen, Urnen aus der Bronzezeit um 1250 vor Christus und Scherben von Tongefäßen aus der Bandkeramiker-Kultur, die etwa zwischen 5500 und 4900 vor Christus als erste Bauernkultur in Europa entstand.
Ebsdorfer Grund als Exporteur von Innovationen
Die Besiedlung des Amöneburger Beckens ist laut Lutz sehr dicht gewesen. „Die Böden sind gut, das wussten die Menschen“, erklärte sie. „Deswegen sind sie hier nach und nach hereingesickert.“
Deswegen glaubt die Ausgrabungsleiterin auch, dass sie bisher nur einen kleinen Teil der Siedlung entdeckt haben – und noch viel mehr Funde aus anderen Epochen auf das Team warten.“So ganz wurde diese Siedlung also nie aufgegeben“, sagte sie mit Blick auf die Häuser von Heskem, die nur wenige hundert Meter entfernt stehen.
„Hier wurden neue Bauweisen entwickelt“, sagte sie außerdem. Der Ebsdorfer Grund habe so damals eine große Bedeutung als Exporteur von Innovationen gehabt.
„Heute ist Marburg das Zentrum. Aber früher waren hier im Ebsdorfer Grund die Zentren. Es ist eine wichtige Gegend über die wir hier viel Wissenswertes lernen.“
Die Ausgrabungsstelle an der Landesstraße fällt derzeit vor allen Dingen durch eine Vielzahl von weißen Folien und darüber verstreuten Sandsäcken auf. Lutz berichtete den interessierten Besuchern, dass so Fundstellen markiert und geschützt werden. Jeder Sandsack beschwert eine Nummer, die wiederum einen Fund markiert. Die Folien bedecken geöffnete Stellen im Boden, damit sie nicht austrocknen.
„Wir haben die Fläche zunächst möglichst glatt abgezogen“, sagte sie. So könne sie eingemessen und fotografiert werden. Anschließend werden an verschiedenen Stellen vertikale Schnitte gemacht, um in die Tiefe schauen zu können.
„Wir müssen alles sehr genau dokumentieren“, fasste Lutz am Ende nochmal zusammen. Denn nach dem Abmessen, Fotografieren und Abzeichnen werden die Fundstellen zerstört.
„Wir beeilen uns also hier mit der Dokumentation. Die Funde werden dann erst später komplett ausgewertet.“
„Manchmal haben wir heute zu wenig Verständnis für Naturschutz, Denkmalschutz und vor allem für die Archäologie“, sagte Bürgermeister Schulz zum Abschluss der Führungen über die Ausgrabungsstätte. „Das sind Dinge, die man nicht so schätzen und einschätzen kann, die immer vage bleiben.“
Daher habe der Infotag sicherlich dazu beigetragen, die Arbeit der Archäologen wertschätzen zu lernen.
„Jetzt können wir alle ein bisschen besser einschätzen, wie wichtig das ist, was Sie hier tun“, sagte der Rathauschef.